Verein für Brauchtumspflege Erharting e.V.
Verein für Brauchtumspflege Erharting e.V.

Der Bader informiert

Nach dem Sie nun schon einiges über die vergangenen Pestepidemien erfahren haben (siehe unter "Der Bader - Archiv), möchten wir Sie über einige kuriose Behandlungsmethoden zur damaligen Bekämpfung des "Schwarzen Todes" informieren.

Wie schon berichtet, konnten sich die geplagten Menschen vor Jahrhunderten keinen Reim auf den Ursprung der fürchterlichen Krankheit machen. Eine Theorie war, dass die Seuche durch schlechte, verunreinigte Luft verbreitet würde. Daraus entwickelte sich unter anderem die kuriose Theorie, dass mit noch stärker stinkender Luft dem Problem beizukommen wäre. Aus diesen Vermutungen entstanden dann haarsträubende Behandlungen. Eine davon war, einen Ziegenbock, der ja für seine penetranten Ausdünstungen bekannt ist, ins Schlafzimmer zu stellen, um die Krankheit abzuwehren. Eine weitere Steigerung Schlechtes mit noch Schlechterem zu bekämpfen gipfelte darin, die Schlafstelle auf den dampfenden Misthaufen zu verlegen. Der Ziegenbock, der ja auch gerne als Sündenbock hingestellt wird, sollte wie schon in der Antike alles Negative an sich ziehen und somit von den Menschen fernhalten. Bis weit ins 20. Jahrhundert hielten sich viele Bauern einen Ziegenbock im Stall, der die Krankheiten vom wertvollen Viehbestand abblocken sollte. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch wenn man das Pestbakterium noch lange nicht entdeckt hatte, so lehrte die Erfahrung, dass sich die Seuche um so schneller ausbreitete je enger der Kontakt zu den Erkrankten und Toten war. Dies hatte zusätzlich verheerende Folgen auf Infizierte, die kein familiäres Umfeld hatten. Sie wurden, wenn vorhanden, in die Siechenhäuser gebracht.

Bei den vielen Todesfällen kamen die Leute gar nicht mehr dazu die Leichen zeitnah zu beerdigen. Die Pesttoten lagen oft Tage- oder Wochenlang in den Häusern und so verbreitete sich die Seuchengefahr um ein Vielfaches. 

Die wenigen Gesunden verließen aus Angst vor Ansteckungen ihre Häuser und somit waren die Kranken ohne jegliche Hilfe. Die wenigen die den Todgeweihten Hilfe zukommen ließen, versuchten sich durch ausreichenden Abstand zu schützen. Die Versorgung mit  Nahrung und Medizin sowie die Behandlung der Pestbeulen erfolgte mit dem "Pestbesteck". Dies waren bis zu drei Meter lange Stöcke an deren Spitze Löffel oder Gabel angebracht waren. Zum Öffnen und Reinigen der Pestgeschwulste wurden an den erwähnten Stöcken kleine Messerchen und Tupfer befestigt. Die wenigen Pestärzte schützten sich zusätzlich mit langen Mänteln, Schlapphut, Handschuhen und einer Schnabelmaske in deren Öffnung allerlei Kräutermischungen waren, die zusätzlich die in der Luft vermuteten Krankheitserreger filtern sollten. Beim Herannahen hatten sich die Helfer mit einem Glöckchen zu Erkennen geben, damit die Betroffenen wussten, dass ihnen Hilfe zu Teil wurde. Die erwähnten Pestbestecke finden wir bis heute in dem allseits bekannten Ausspruch wenn jemand unsauber ist: "Den mag ich nicht mal mit dem langen Stock anfassen". 

Der Kinderreim "fürchtet ihr den Schwarzen Mann" bezieht sich auf den Pestarzt, der ja in seinem schwarzen "Schutzanzug" viel Aufsehen, vor allem bei den Kindern, hervorrief.

Der Spruch "das stinkt ja wie die Pest" dürfte von den hygienischen Mißständen in diesen unseligen Zeiten herrühren. 

 

Bleibt festzustellen, dass das Gebot des Abstand haltens auch in unserer jetzigen Situation nichts an Aktualität eingebüßt hat.

 

Eine weitere Redewendung wie "dem wünsch ich die Pest an den Hals" zeugt ebenfalls von der Dramatik der Krankheit. 

Neben der Behandlung mit dem Pestbesteck kamen auch immer wieder haarsträubende Hausmittel zur Bekämpfung der Pest zum Einsatz. Das markanteste davon ist der Theriak. Die Bestandteile dieses "Zaubermittels" waren unter anderem Entenblut, Schlangen- und Krötenfleisch, Schneckenschleim, gemahlene Rattenzähne, Pupillen von Ochsenaugen, Regenwürmer und Urin von Ziegenböcken. Zwischen 50 und 70  Ingredienzen enthielten diese völlig unwirksamen Zaubermittel, aber schon allein die Inhaltsstoffe bewirkten den Placeboeffekt. 

Der Aderlass, bei dem die Schadstoffe aus den Adern förmlich heraussspritzen sollten, war eine gängige, wenn auch unwirksame, Behandlungsmethode zur Bekämpfung des "Schwarzen Todes". Mit dem sogenannten Todesorakel, bei dem der Milch einer Wöchnerin einige Tropfen Urin des Pestkranken beigemischt wurden, wollte man die Überlebenschancen des Infizierten ausloten. Schwamm der Urin obenauf, standen die Chancen gut, aber je tiefer die Urinprobe in der Milch sank - so sank auch die Aussicht auf das Überleben des Pestkranken. 

 

Helf Gott (Gesundheit), ein Wunsch aus der Pestzeit der sich bis heute erhalten hat

Vor allem bei der Lungenpest waren als erste Symptome vermehrtes Niesen zu verzeichnen. Musste in Pestzeiten jemand öfters Niesen, so riefen ihm seine Mitmenschen zu: "Helf Dir Gott", denn jetzt konnte nur noch Gott helfen. Bekam einer kein "Helf Gott" war er so gut wie aussichtslos verloren.

 

Bis zum Jahr 1894 sollte es dauern bis es dem Arzt Alexander Yersin gelang das Pestbakterium, das vom Rattenfloh ausging, zu isolieren. Seitdem ist die Menschheit von der gefürchteten Pest, die über 500 Jahre hinweg immer wieder ganze Landstriche in Europa entvölkerte, befreit. 

 

Bleibt abschließend zu hoffen, dass auch das momentan grassierende Corona Virus bald durch wirksame Medikamente eingedämmt werden kann. Jeder von uns kann durch das Einhalten der vorgegebenen Regeln seinen Beitrag dazu leisten.

 

Besonderer Hinweis des Baders

 

Die vorgenannten skurilen Medikamente und Behandlungsmethoden entsprechen nicht dem Stand der heutigen Medizin und sollten deshalb im Interesse Ihrer Gesundheit unter keinen Umständen nachgeahmt werden.

 

 

Pestkreuz am Pestfriedhof außerhalb von Erharting.

 

Im Jahr 1348 wütete die Pest erstmals in unserer Gegend, weitere gravierende Epidemien sind in den Jahren 1611, 1634 und 1648 bekannt. Aber auch in der Folgezeit holte sich der "Schwarze Tod" immer wieder seine Opfer. In wöchentlichen und monatlichen Abständen  verstarben oftmals die Mitglieder von Familien, so dass eine gemeinsame Bestattung im angestammten Familiengrab aus Platzgründen nicht mehr möglich war. In der Not entschied man sich für Gemeinschaftsgräber (Massengräber) ausserhalb der Ortschaften, verbunden mit dem Gedanken, dass somit das Krankheitsproblem quasi aus dem Ort verbannt werden könnte. Welch ein Trugschluß! 

An die vielen bedauernswerten Opfer der damaligen Geißel der Menschheit erinnert das Pestkreuz hoch über dem Grabeshügel der unzähligen namenlosen Pesttoten aus der Pfarrei Erharting.

Herz Jesu Kapelle an der Straße von Erharting nach Rohrbach.

 

Die im Volksmund allgemein als Pestkapelle, aber dem Herzen Jesu geweihte Kapelle, wurde im Jahr 1839/40 erbaut, also lang nach der letzten Pestepidemie.

An ihrem jetzigen Standort soll nach Erzählungen eine Quelle, die am rückliegenden Steilhang entsprang, im Boden versickert sein. Ein angedachter Taufstein an der Ostwand der neugotischen Kapelle soll vermutlich daran erinnern.

 

Neben dem schon erwähnten Pestkreuz im angrenzenden Wald lädt dieses religiöse Kleinod zum Verweilen und Gedenken an unsere Vorfahren ein, die damals wie wir heute vor einem schier unlösbaren Problem einer geheimnisvollen Pandemie standen. 

 

 

 

Nachträglich geschaffen - der Sebastianialtar in der Erhartinger Kirche.

 

Über Jahrhunderte hinweg wurde unsere Gegend immer wieder von schlimmen Pestepidemien heimgesucht. Die "Medizin" konnte nicht wirklich weiterhelfen und so wandte man sich an die sogenannte "letzte Instanz", nämlich dem Gebet und der Zuflucht bei himmlischen Fürsprechern, denen man in ausweglosen Situationen vertraute. Verheerende Krankheiten, wie damals die Pest, so glaubte das Volk allgemein, würden als Strafe Gottes in Form von unsichtbaren Pfeilen als Vergeltung für ihr sündhaftes Verhalten herniederprasseln. So besannen sich Gläubige auf das auf wundersame Weise überstandene Pfeilmartyrium des heiligen Sebastian. Wenn, dann konnte nur dieser Schutzpatron die Gefahr abwenden. Als im Jahr 1610/11 wiederum der "Schwarze Tod" in unserer Region reiche Ernte hielt, wallfahrtete das 1610 gegründete Kollegiatstift Mühldorf, zu dem auch die Pfarrei Erharting gehörte, zum Pestpatron nach Ebersberg, um dort gütige Hilfe zu erflehen. Ab dem Jahr 1677 bildeten die Erhartinger eine eigenständige Wallfahrt nach Ebersberg, die fortan im dreujährigen Turnus stattfand. Jeweils am Pfingstmontag um drei Uhr früh setzte sich der Kreuzgang über Ampfing, Haag, Albaching und Steinhöring nach Ebersberg in Bewegung. Am zweiten Tag erreichten die Pilger das Heiligtum in Ebersberg, wo sie im Rahmen des Wallfahrtsgottesdienstes den geweihten Sebastianiwein aus der Original Hirnschale des Martyrers zum Schutz gegen die Pest tranken. Nach einem mehrstündigen Aufenthalt zogen sie dann über Hohenlinden und Isen weiter zum Marienheiligtum "Maria Dorfen". Am frühen Morgen des dritten Tages strebten sie dann über Obertaufkirchen und Ampfing ihrem Heimatort Erharting entgegen. Diese bei den Pfarrangehörigen sehr geschätzte Bittprozession stieß jedoch bei den Geistlichen immer wieder auf Ablehnung. Die einzelnen Priester stellten immer wieder zusätzliche Geldforderungen, um die Gläubigen von dieser Bußübung abzuhalten. Aber die Leute sammelten für den Bittgang und so mußte der Pfarrer, wenn auch zähneknirschend, den Kreuzgang begleiten. In einem Schreiben an den vorgesetzten Bischof vermerkt der Erhartinger Geistliche Folgendes:" Es kann nicht sein, daß der Pfarrer mit 100 Pfarrkindern einen jeweiligen Tagesmarsch von 14 Stunden absolviert und der Rest der Pfarrgemeinde drei Tage lang ohne jegliche geistliche Betreuung zurückbleiben muß." Zu dem beklagte er sich, "dass sich die Bauern und Handwerker in Ampfing mit der Kutsche abholen ließen und er nur mit Dienstboten und Tagelöhnern in Erharting einziehen muß." Seine Abneigung gegen die Wallfahrt nach Ebersberg gipfelte darin, dass er Mitte des 19. Jahrhunderts einen eigenen Sebastianialtar in der örtlichen Pfarrkirche schaffen ließ. Mit dem neuen Altar und einer Sebastiani Prozession durch das Dorf wollte er die Pilger vom beschwerlichen Kreuzgang nach Ebersberg abhalten. Seine Rechnung ging jedoch nicht auf, denn die Erhartinger boykottierten die örtliche Prozession und zogen weiterhin alle drei Jahre zum "echten Pestpatron" nach Ebersberg. Sogar an die königliche Hofkammer in München wandte sich der Geistliche, jedoch auch ohne Erfolg. Im Jahr 1869 am Pfingstmontag, also vor genau 151 Jahren, zogen dann die Erhartinger zum letzten Mal in einem Bittgang nach Ebersberg. Eine guterhaltene Votivtafel und mehrere Votivkerzen im Presbyterium der Eberberger Wallfahrtskirche zeugen bis heute von der Jahrunderte währenden Bittprozession zum Pestpatron nach Ebersberg.

 

Ein ausführlicher Aufsatz über die Erhartinger Wallfahrt nach Ebersberg findet sich im "Mühlrad 2010" dem Jahrbuch des Geschichtsvereins Heimatbund Mühldorf.

 

Auch in der jetzigen gesundheitlichen Situation rückt das Thema Wallfahrten, insbesondere zur Heiligen Corona, vielleicht wieder etwas in den Mittelpunkt, gemäß dem alten Sprichwort: "Not lehrt beten".

 

 

Bleiben Sie gesund.

 

Dies wünscht Ihnen 

 

Verein für Brauchtumspflege Erharting e.V.

 

 

 

 

 

 

 

 

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